Sehr geehrter Herr Laschet, sehr geehrter Herr Reul, sehr geehrte Minister/innen,
nachdem ich den Aktivisten im Hambacher Wald einen offenen Brief geschrieben habe, ist es mir jetzt auch ein tiefes Bedürfnis, wenigstens zu versuchen, Ihnen klar zu machen, was Sie mit Ihrer Vorgehensweise bei vielen Menschen bewirken. Ich werde nicht wiederholen, dass der Braunkohleausstieg beschlossen ist, die Kohlekommission tagt und wir die Braunkohle unter dem Hambacher Wald definitiv nicht für die Versorgungssicherheit brauchen.
Nein, mir geht es um etwas ganz Anderes. Ich habe viele Jahre als Bürger brav meine Pflicht getan, gehe täglich zur Arbeit, zahle meine Steuern und gebe alle vier Jahre meine Stimme ab. Ich habe mehr oder weniger Ihre Arbeit verfolgt, mit manchen Dingen war ich nicht einverstanden, doch ich habe darauf vertraut, dass Sie wissen, was Sie tun. Dazu kam häufig auch der Gedanke, dass man als Bürger ja „eh nichts tun kann“ und – ja, ich gestehe, es ist gar nicht so leicht, die Komfortzone zu verlassen.
Trotzdem habe ich vor einigen Monaten genau diesen Schritt vollzogen, weil ich einfach nicht mehr aushalte, mit welcher Vehemenz auf Ihrer Seite gelogen und fadenscheinig argumentiert wird. Sie haben immer schon versucht, die Menschen im Wald zu entmenschlichen, um so jedem Bürger klar zu machen, dass jedes Rechtsmittel legitim ist, um sie von dort zu vertreiben. Im Landtag wurden sie sogar als „Terroristen“ bezeichnet. Es ist eine Unverschämtheit, Menschen, die friedlich für Umweltschutz demonstrieren auf die gleiche Stufe zu stellen wie diejenigen, die bewusst bei einem Attentat so viele unschuldige Menschen wie möglich töten. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich lehne jede Form von Gewalt ab und bin auch nicht begeistert, wenn mit Fäkalien auf andere Menschen geworfen wird. Im Gegensatz zu Ihnen habe ich aber häufig mitbekommen, was diesen Angriffen vorausging. Meistens waren sie eine ohnmächtige Reaktion von unbewaffneten Menschen, die rücksichtslos von der Polizei weggeknüppelt wurden. Wenn dann mal ein Eimer vom Tripod „fällt“, finde ich das nicht witzig, kann es aber nachvollziehen. Und das Werfen mit Fäkalien ist ja auch das einzige Argument, das Sie ständig anführen. Wo sind denn die „gewaltbereiten linksradikalen Anarchisten“?
Ich verfolge sehr viele Live Streams und sehe Gewalt, die, wenn überhaupt, nur von bis an die Zähne bewaffneten, vermummten Polizisten ausgeht, die wahllos auf friedliche Menschen losgehen.
Ich möchte jetzt nicht jede Lüge aufzählen, die Sie in der letzten Zeit verbreitet haben (zwei Jahre alte Beweismittel auf einer Pressekonferenz, Tunnel wie in Vietnam, Eimer, kein Polizeieinsatz beim Unfall von Steffen Meyn, Schmähgesänge der Aktivisten an der Unfallstelle usw. und ständig die gleiche Leier von „Kriminellen“). Mir ist klar, was Sie damit bezwecken möchten: Sie möchten die Hambis entmenschlichen, um damit Ihr aggressives Vorgehen rechtfertigen zu können. Was Sie nicht bedacht haben ist, dass immer weniger Menschen Ihnen glauben.
Im Moment geht ein Ruck durch Deutschland und die Bürger stehen auf und lassen sich nicht mehr für dumm verkaufen. Auch wenn Sie ständig wiederholen, dass es die rot-grüne Regierung war, die die Rodung genehmigt hat und dass RWE die rechtliche Grundlage hat, reicht das nicht mehr. Sie sind momentan die Regierung und können sehr wohl was tun, anstatt vollendete Tatsachen zu schaffen. Sie sollen sich ja gar nicht gegen die Gerichtsentscheidung stellen, sondern lediglich abwarten (das tun Sie doch so gerne), bis das Gericht entschieden und die Kohlekommission getagt hat. Dazu kommt, dass es durchaus auch rechtens sein kann, Recht und Gesetz zu hinterfragen. In der Geschichte finden sich massig Beispiele dafür, dass geltendes Recht nicht immer gleichbedeutend mit “richtig” ist. Und dann ist es hinterher der Widerstand, der gefeiert wird, weil er das getan, was die Politiker nicht hinbekommen haben oder wollten.
Die Schäden, die der Einsatz dem Wald bereits zugefügt hat, sind immens. Ich komme mir häufig vor wie in einem Science Fiction Film und das macht mir Angst. Ich gehe jetzt auf die Straße und in den Wald und daran sind Sie nicht unschuldig mit Ihrer Politik. Ich habe begriffen, dass ich auch das Volk bin und etwas tun kann.
Ohne Widerstand würde Indien noch von England regiert und die Berliner Mauer würde auch noch stehen.
Astrid
28. September 2018 — 11:37
Genauso ist es! Und sogar das Argument, die (rot-grüne) Vorgängerregierung habe die Abholzung beschlossen ist eine Lüge: die Genehmigung wurde in den 70’er Jahren erteilt, als die erneuerbaren Energien noch eine belächelte Randerscheinung waren. Rot-grün hat es, gegen erheblichen Widerstand, lediglich geschafft, eine Neugenehmigung für Neu-Garzweiler kleiner zu fassen, als beantragt.
Meine Quelle: ein Interview mit Bärbel Höhn im WDR-Radio vor ca. einer Woche.
Aber solch komplizierte Zusammenhänge darzustellen, ist vermutlich zu schwer. Man will das Volk ja nicht überfordern ?.
Herr Laschet, Herr Reul: so doof sind wir aber gar nicht. Lügen kommen irgendwann ans Licht, und haben schon so manchem das (politische) Genick gebrochen!
Renate Schreck-Berge
28. September 2018 — 15:18
Vielen Dank, Wort für Wort aus meinem Herzen gesprochen!
ich denke, ich bin doppelt so alt aber auch ich habe meine Komfortzone verlassen weil ich unerträglich finde was im Wald passiert und wie die Aktivisten kriminalisiert werden. Wer hier wirklich kriminell agiert, kann man in div. Videos und Fotos sehen. Glücklicherweise gibt es die sozialen Medien die jede Lüge entlarven. Das haben die Herren Reul und Laschet wohl noch nicht begriffen oder es ist ihnen völlig egal. Aber dieses Verhalten wird sich rächen: wir vergessen es nicht!
Viel Liebe für dich und deinen tollen Sohn!
Deborah S. Phillips
28. September 2018 — 15:56
Ohne diese Wälder werden wir alle leiden – klimamässig macht’s einen Sinn, sofort aufzuhören, Bäume im Hambacher Forst zu fällen
Ulla Trockel-Freitag
28. September 2018 — 18:20
Vielen Dank für diesen offenen Brief, der alles auf den Punkt gebracht hat. Ich hoffe, dass er von vielen Menschen gelesen wird.
Mit freundlichen Grüßen und auf ein “weiter so“.
Ulla Trockel-Freitag,
eine 68erin, die schon gegen die Stationierung der Pershingraketen und gegen Atomkraft demonstriert hat.
Ulla Trockel-Freitag
28. September 2018 — 20:17
Wie gesagt, finde ich diesen Brief gut, was ich allerdings sehr kritisiere ist, dass er keine Unterschrift trägt und es keinen Hinweis auf die Verfasserin gibt.
Zivilcourage bedeutet immer mit offenem Visier
Yvonne ZIMMERMANN
28. September 2018 — 22:29
Vielen Dank für diesen Brief, den ich voll und ganz unterstütze, weil ich mich in Vielem darin wiederfinde. Auch ich habe mich zu lange in der Komfortzone bewegt. Nach über 30 Jahre gehe ich nun wieder auf die Straße, um für den Erhalt eines kleinen Restes eines einst wunderbaren Waldes voller Maiglöckchen gewaltlos einzutreten. Er ist für mich aber auch ein Symbol und steht für den Mut, den Verzicht auf Kohleenergie zum Erreichen der verabredeten Klimaziele auch strikt durchzusetzen. Ich wünsche mir, dass die Politik endlich für eine lebenswerte Welt für unsere Nachkommen eintritt und sich nicht mehr von Unternehmen mit ihren uralten, immer gleichen Thesen am Nasenring durch die Arena führen lässt.
Jenny_D
28. September 2018 — 23:29
Danke,der Beitrag spricht auch mit absolut aus der Seele!
Siegfried Biernat
2. Oktober 2018 — 19:12
Sehr geehrter Herr Reul,
ich war zwar noch recht jung, als ich mich mit meinem Onkel „Hubert Biernat“ unterhielt, welcher Februar 1956 bis Juli 1958 ebenfalls Innenminister in NRW war, doch ich kann mich noch gut daran erinnern was er damals unter „Zum Wohle des Volkes“ verstand, denn das war nicht; „Die Unterstützung von Unternehmen, wenn deren Interessen rein monetärer Natur sind und dadurch die Umwelt und somit die in ihr lebenden Menschen, Tiere und Pflanzen „unnötig“ belastet werden.
Von daher verfolge ich mit Erschrecken die Unterstützung durch die Politik und weiterer staatlicher Institutionen, den letzten Rest des Hambacher Forstes abzuholzen.
Gerade Menschen höheren Alters, wie Sie und ich ebenfalls, haben über Jahrzehnte miterlebt, wie sehr sich unsere Umwelt und das Wetter negativ entwickelten und sollten aus diesen Erfahrungen heraus alles menschenmögliche unternehmen, um einem weiteren Fortschreiten dieser Verschlechterungen Einhalt zu gebieten.
Genau das Gegenteil aber machen Sie und auch die Gerichte, indem Sie (sie) gegen den Willen des Volkes entscheiden, was für mich und einen Großteil der Bevölkerung zuerst einmal völlig unverständlich ist, denn ist eine solche Entscheidung nicht wider jeder Vernunft und auch wider der Verantwortung Ihres Amtes bzw. dem von Ihnen geleisteten Amtseid?
Auf mich macht es leider den Anschein, als wenn Ihnen die Unternehmer mehr am Herzen liegen, als das Wohl des Landes (der Bevölkerung) oder Sie sich vielleicht einfach nur sagen, dass Sie in Ihrem Alter schon das Schlimmste überstanden haben und was nach Ihnen passiert völlig egal ist.
Mein Onkel hätte allerdings jeden dieser Beweggründe als schändlich und Sie als falsche Besetzung für so ein Amt bezeichnet, weswegen ich Sie auffordere Ihr Gewissen und Handeln dahingehend zu prüfen, ob dieses wirklich im Einklang mit dem von Ihnen geleisteten Amtseid steht oder Sie nicht besser vom Amt zurücktreten, um dem Land und dessen Bevölkerung wenigstens dadurch einen positiven Nutzen zu bringen.
Mit freundlichen Grüßen
Siegfried Biernat